WhatsApp-Nutzung bei Jugendlichen: Reden ist Silber, schreiben ist Gold?

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Junge Frau am Smartphone am Verfassen einer WhatsApp-Nachricht

Neben Facebook und Snapchat ist WhatsApp eine der beliebtesten Kommunikationsplattformen für Jugendliche. Mindestens 94 Prozent aller Jugendlichen im Alter von 12-19 Jahren haben WhatsApp auf ihrem Handy installiert und kommunizieren darüber mit ihren Freunden. Wie verändert die Nutzung dieses sozialen Messengers die Beziehungen zu Gleichaltrigen aus psychologischer Sicht?


Viele Missverständnisse

Es ist immer wieder interessant zu beobachten, dass es durch die Kommunikation in sozialen Medien zu vielen Missverständnissen kommt. Durch das schriftliche Kommunizieren über soziale Medien wie Whatsapp fehlen dem Empfänger wichtige Informationsquellen, wie MimikTonlage und die Körpersprache des Gegenübers, die eine Interpretation der empfangenen Nachricht erschwert. Dies lädt zu „Projektionen“ ein – d.h. die empfangene Nachricht wird oft entsprechend der eigenen Erwartung (fehl-)interpretiert. Die kann bei vielen Jugendlichen zu Stress führen. Zum einen überlegen sie sich sehr lange und genau, wie sie was schreiben wollen, zum andern „verarbeiten“ sie empfangene Nachrichten unter Umständen falsch.


Erhöhte soziale Kontrolle

Mit WhatsApp ist es möglich nachzuvollziehen, wann eine Person das letzte mal online war respektive ob die eigene Nachricht vom Empfänger gelesen wurde oder nicht. Dies führt bei vielen Jugendlichen zu einem erhöhten sozialen Druck.

„Warum hast Du mir erst eine Stunde später zurückgeschrieben? Du hast doch gesehen, dass ich online war!?“.


Warum schriftlich kommunizieren?

Multitasking

Es stellt sich die Frage, warum Jugendliche im Anbetracht der vielen Missverständnisse und der Umständlichkeit der schriftlichen Kommunikation nicht direkter kommunizieren (z.B. telefonieren). Jugendliche lieben Multitasking, d.h. sich verschiedenen Tätigkeiten gleichzeitig zu widmen, ohne sich vertieft auf etwas einzulassen. WhatsApp und andere Social Media-Kanäle laden dazu ein. Dieses „Task-Switching“ (ständiges Wechseln der Tätigkeiten) löst im Gehirn „Glückssignale“ aus. Jede neue Nachricht ist ein klein bisschen „überraschend“, „spannend“ und „reizvoll“. Dies kann die live-Kommunikation mit Gleichaltrigen auf neurologischer Ebene nicht bieten.


Soziale Unsicherheit

Ein weiterer Grund dafür ist, dass Jugendliche in der Pubertät mit sich selber und anderen Jugendlichen oft unsicher sind.

„Wie bin ich? Wie wirke ich? Mag man mich?“


Sich weniger zeigen

Die schriftliche Kommunikation über WhatsApp ermöglicht Jugendlichen, dass sie sich subjektiv weniger exponieren. Sie zeigen keine „realen Emotionen“ und sind schriftlich vielleicht sogar mutiger, als im „Gesprochenen Wort“. Gleichzeitig exponieren sie sich objektiv betrachtet durch die schriftliche Kommunikation aber stärker als in der Live-Kommunikation, da schriftlich gemachte Aussagen grundsätzlich gespeichert werden.


FoMO

Oft haben Jugendliche Angst, etwas zu verpassen. Die sogenannte „FoMO“ („Fear of Missing Out“) führt zur Tendenz, überall und immer erreichbar sein zu wollen. Durch das Multitasking per WhatsApp können Jugendliche dies problemlos umsetzen. Telefoniert man aber beispielsweise mit der besten Freundin, kann es sein, dass nebenbei wichtige Gespräche laufen, die man verpasst.


Reaktion in Echtzeit

Durch die schriftliche Kommunikation haben Jugendliche mehr Zeit zu reagieren, als in einem Gespräch. Aufgrund der vermehrten schriftlichen Kommunikation über die sozialen Medien fühlen sich viele Jugendliche z.B. bei Telefongesprächen unsicher.


Soziale Codes per Whatsapp

In den letzten Jahren haben sich über die sozialen Medien einige Codes entwickelt, die allgemeine Gültigkeit zu haben scheinen. Immer wieder bin ich darüber erstaunt, wie anders die Kommunikation heute verläuft als noch vor wenigen Jahren.


WhatsApp-Profilbild und Status

Das WhatsApp-Profilbild und der Status dienen nicht mehr nur dazu, sich als Person gegenüber andern zu zeigen. Es hat sich zu einer Art „sozialem Aushängeschild“ entwickelt. Postet Alex beispielsweise das Bild von Steffi als Profilbild, heisst das, dass er sie mag. Macht Steffi dasselbe, werden sie von der Aussenwelt als Paar wahrgenommen. Die klassische „willst Du mit mir gehen? – Frage“ wird heute offenbar weniger gestellt.


Blocken

Haben zwei Jugendliche streit, ist es üblich, dass man sich gegenseitig „blockt“, um keine Nachrichten voneinander mehr zu erhalten. Die Botschaft des „Blockens“ ist eindeutig „ich will nichts mit Dir zu tun haben“. Ein solches Statement kostet in der Live-Kommunikation im gegensatz zu WhatsApp unter Umständen viel Mut, Selbstsicherheit und Überwindung. Genau so schnell wie geblockt wird, wird auch wieder „ent-blockt“.