„Je mehr Zeit ein Jugendlicher vor dem PC verbringt, desto gefährdeter ist er, eine Computerspielsucht zu entwickeln“. Diese Überlegung greift aus heutiger Sicht viel zu wenig, um das komplexe Phänomen einer Gamesucht zu erfassen. In den letzten Jahren wurde vermehrt zum Thema „Internet Gaming Disorder“ geforscht.
In der Forschung zum Thema Gamesucht entsteht ein immer differenzierteres und vielschichtigeres Bild, welches es erlaubt, bestimmte Risikogruppen immer besser zu identifizieren. Im Folgenden wird ein Überblick über fünf Forschungsarbeiten vermittelt, welche mittels unterschiedlicher Ansätze untersuchten, welche Jugendlichen besonders suchtgefährdet sind.
Die Spieldauer alleine ist keine verlässliche Angabe dafür, ob ein Jugendlicher suchtgefährdet ist.
Studie 1: Der Zusammenhang zwischen Computerspielsucht und Realitätsflucht
Die Studie von Ramoz-Diaz und Kollegen von 2018 Untersuchte 3’818 „League of Legends„-Spieler auf Suchtsymptome und darauf, was die Spieler am Spiel motiviert. Die Resultate zeigten, dass die Ausprägung von Suchtsymptomen bei jugendlichen Gamern je nach Hauptmotiv des Spielens stark unterschieden. So erfüllten Versuchspersonen mit den Hauptmotiven „Realitätsflucht“ und „Abtauchen in Fantasiewelten“ die Kriterien für eine Internet Gaming Disorder eher, als Personen mit den Hauptmotiven „Soziale Beziehungen“, „Wettkampf“, „Gefühlsregulation“, „Geschicklichkeitstraining“ oder „Erholung“.
Studie 2: Fünf Typen von Gamern, wovon drei besonders suchtgefährdet sind
Einen etwas anderen Ansatz verfolgte die Studie von Billieux und Kollegen im Jahr 2015. Sie untersuchte 1057 über 18-jährige „World of Warcraft“-Spieler. Untersucht wurden Persönlichkeitseigenschaften wie Impulsivität, Emotionsregulation, Selbstbewusstsein, Spielmotivation und Suchtsymptome. Billieux und Kollegen fanden fünf unterschiedliche Gamertypen, wobei drei als eher „problematische Gamertypen“ und zwei als eher „unproblematische Gamertypen“ hinsichtlich der Entwicklung einer Computerspielsucht identifiziert wurden.
Die fünf Gamertypen:
(entsprechend den Ergebnissen von Billieux et. al. und zusätzlich etwas frei charakterisiert):
Studie 3: Online-Rollenspiele und Echtzeitstrategiespiele werden besonders oft von computerspielsüchtigen Spielern gespielt.
Eichenbaum un Kollegen (2015) fanden heraus, dass Spieler bestimmter Spielgenres mehr Suchtsymptome zeigten als andere. So zeigte sich der Anteil an Spielern mit Suchtsymptomen bei Online-Rollenspielen (wie z.B. „World of Warcraft“, „EVE-Online“, „Elder-Scrolls-Online“), und Echtzeitstrategiespielen (z.B. „Starcraft II“, „League of Legends“) als höher, als bei anderen Spielarten wie Action-, Shooter-, Sport- oder Kampfspielen.
Studie 4: Computerspielsüchtige Jugendliche sind ängstlicher als normale Spieler
Die Forschergruppe um Braun und Kollegen machten 2015 eine Onlinestudie mit 2891 Teilnehmern, wobei sie Persönlichkeitseigenschaften von Gamern und deren Spielverhalten untersuchten. Sie fanden eine Bestätigung dafür, was schon länger bekannt ist. Spieler, welche als Persönlichkeitseigenschaft einen erhöhten Neurotizismus (etwas vereinfacht: „Ängstlichkeit“) zeigen, erfüllen die Kriterien einer Computerspielsucht eher, als Spieler mit durchschnittlichen oder tiefen Werten in der Persönlichkeitseigenschaft Neurotizismus.
Studie 5: Computerspielsüchtige Jugendliche zeigen soziale Schwierigkeiten
Müller und Kollegen fanden 2014 in einer Online-Studie mit knapp 13’000 Versuchspersonen heraus, dass gamesüchtige Jugendliche eher dazu tendierten, weitere psychopathologische Symptome wie soziale Schwierigkeiten, aggressives Verhalten oder Regelverstösse zu zeigen. Müller und Kollegen lieferten auch Zahlen dazu, wieviele Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren eine Computerspielsucht zeigten – nämlich 1.6 Prozent.
Fazit: Charakterisierung von eher gefährdeten und weniger gefährdeten Jugendlichen
In der folgenden Tabelle werden einige Befunde der aufgeführten Studien zusammengefasst, um ein Bild von eher gefährdeten und eher wenig gefährdeten Jugendlichen zu zeichnen.
eher gefährdet | wenig gefährdet | |
---|---|---|
Persönlichkeit | Eher ängstlich, eher wenig selbstbewusst | Eher wenig ängstlich, eher selbstbewusst |
Selbststeuerung | eher wenig Fähigkeiten | eher gute Fähigkeiten |
Psychiatrische Symptome | soziale Schwierigkeiten, viele Regelbrüche | eher wenige Symptome |
Spiele | Onlinerollenspiele oder Strategiespiele | Actionspiele, Sportspiele, Handyspiele |
Spielmotiv | Realitätsflucht, sich nicht einsam fühlen, Sozialkontakte finden, den Adrenalinkick suchen | Erholung, seine eigene Leistung testen, bestehende Sozialkontakte pflegen |
Die Forschung zeigt ein ähnliches Bild, wie der klinische Alltag. Anfällig für die Entwicklung einer Gamesucht sind vor allem Spieler, die generell mehr Belastungen haben. Jugendliche mit eher sozial ängstlichen Mustern, welche wenig Selbstbewusstsein haben und sich sozial eher ausgeschlossen fühlen, tendieren häufig dazu, sich mit sehr „immersiven“ („hineinziehenden“) Spielen zu beschäftigen, wo sie den Lasten des Alltags entfliehen können.
Im Gegensatz dazu gibt es Spieler, welche die Kontrolle durch hohe Selbststeuerungsfähigkeiten und solide persönliche Ressourcen eher behalten können. Für sie stellt das Spielen eher ein Hobby dar, als eine Strategie, mit der Welt „klarzukommen“. Spiele mit einer hohen Eigenschaft, den Spieler „hineinziehen zu können“, üben auf sie eine weniger starke Faszination aus.
Schlussendlich geben psychodynamische Faktoren wie das Spielmotiv, die persönlichen Ressourcen des Spielers und die Frage danach, was ein Spielverhalten genau „bezweckt“ viel mehr Aufschluss über die Gefahr einer Suchtentwicklung als die blosse Spieldauer.
Anmerkung: Wirkrichtung unbekannt
Die fünf oben genannten Studien beschreiben Zusammenhänge zwischen Anzeichen der Computerspielsucht und bestimmten Eigenschaften. Die Wirkrichtung (z.B. Soziale Schwierigkeiten verursachen Suchtsymptome oder Suchtsymptome führen zu sozialen Schwierigkeiten) all dieser Studien ist unbekannt.