Wenn Teenager ihre Eltern beleidigen

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Beleidigungen: wenn kinder eltern beleidigen

Jakob (13) kommt nach Hause, wirft den Rucksack in die Ecke und schaut in den Kühlschrank. Seine Mutter Lisa (41) weist ihn darauf hin, dass es doch in 20 Minuten Abendessen gibt und er doch bitte nichts mehr vorher essen soll. „Lass mich in Ruhe du hässliche, dumme Kuh“ schreit Jakob seiner Mutter an und schmiert sich ein Brot. Lisa ist schockiert und verzweifelt. Leider wurden diese Beleidigungen in den letzten Monaten zu einer Art Normalität. Lisa ist derart wütend und enttäuscht – eigentlich würde sie Jakob am liebsten eine klatschen. Gleichzeitig möchte sie doch mit Jakob einfach nur das Abendessen genießen. Wie kann Lisa reagieren? Muss sie sich das von ihrem Sohn wirklich gefallen lassen?


Dass Teenager in der Pubertät ihre Eltern ab und zu beleidigen ist nichts neues. Werden elterliche Grenzen aber dauerhaft und konsequent überschritten schadet dies der Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Es entsteht eine innere Distanz zwischen Eltern und Jugendlichen. Das hierarchische Verhältnis droht zu kippen, wenn sich Eltern alles gefallen lassen. Auf einmal bestimmen nicht mehr die Eltern, sondern der Jugendliche wo es lang geht. Dies kann dem Jugendlichen in seiner Entwicklung schaden. Im schlimmsten Fall lernen Jugendliche dabei, dass Beleidigungen und Grenzüberschreitungen ein probates Mittel sein können, um Ziele zu erreichen. Spätestens im Übergang von der Pubertät ins Erwachsenenleben und in die Selbstständigkeit wird dies aber scheitern. Welcher Beziehungspartner oder welcher Chef toleriert schon Grenzüberschreitungen?

Es ist absolut im Sinn der Jugendlichen, wenn sich Eltern gegen Beleidigungen und Grenzüberschreitungen angemessen wehren. Dabei ist es für Eltern besonders wichtig, die Motive für die Beleidigungen rasch zu durchschauen und sinnvolle Strategien anzuwenden.


Warum beleidigen Teenager ihre Eltern?

Hormonelle Schwankungen und Botenstoffe lösen in der Pubertät starke Emotionen aus (darunter auch Frust und Verzweiflung). Gleichzeitig ist das Gehirn aber noch nicht sehr gut darin, Impulse zu unterdrücken oder zu kontrollieren. Aus psychologischer Sicht sind Konflikte und Spannungen ebenso vorprogrammiert. Jugendliche halten sich oft für reifer und erwachsener als sie sind. Gleichzeitig sind sie aber auf Regeln und Schutz der Eltern angewiesen, was aus ihrer Sicht total frustrierend ist. Dürfen Teenager beispielsweise nicht ans Konzert ihres Lieblingskünstlers gehen, bricht für sie eine Welt zusammen.


Um was geht es wirklich bei den Beleidigungen?

Teenager versuchen mittels Beleidigungen ihren Frust zu kompensieren. Sie fühlen sich ohnmächtig. Verbale Aggression in Form von Beleidigungen ist ein weg, aus dieser „Ohnmachtsposition“ in eine „Machtposition“ zu gelangen (ähnlich beschreibt dies auch der Soziologe Ferdinand Sutterlüty bezogen auf Jugendliche, die gewalttätig sind). Sie wollen die Eltern genau im gleichen Masse verletzen, wie sie sich selber verletzt fühlen. Für Eltern lohnt es sich, einen Blick auf das „Unausgesprochene“ zu werfen – nämlich der Frust, der hinter den ausgesprochenen Beleidigungen steht. Geht es wirklich um Sie? Geht es um etwas ganz anderes?

„Warum nur bist Du so frustriert, dass Du mir solche Fluchwörter an den Kopf wirfst? Du musst Dich ja wirklich schrecklich fühlen“.


Der emotionale Blitzableiter

Jugendliche nutzen Eltern als emotionalen Blitzableiter. Oft erleben Jugendliche im Alltag viel Frust und Stress. Doch wohin mit all diesen negativen Gefühlen? An den Lehrern und an der Schule können sie diese Gefühle nicht richtig auslassen. Zu den Eltern hingegen haben sie tiefes Vertrauen. Sie wissen, dass sie sich fast alles leisten können – ohne zu befürchten, dass es langfristig negative Konsequenzen geben kann. Doch auch der beste emotionale Blitzableiter hat irgendwann genug. Jugendliche müssen lernen selbstständig und Verantwortungsvoll mit Frust umzugehen. Vielleicht kann ein Boxsack oder ein Videospiel dabei helfen, Frust abzulassen? Falls sich Eltern als emotionale Blitzableiter erkennen, müssen sie klare Grenzen setzen.


Hilfreiche Tipps

  1. Es kann für Eltern hilfreich sein, sich bildlich eine Grenze vorzustellen und sich innerlich zu sagen: „dieser Frust gehört nicht zu mir, ich nehme diesen Frust nicht auf“.
  2. Lassen Sie sich nicht auf die Beleidigungen ein, d.h. geben Sie nicht in Form von Beleidigungen zurück. Bleiben Sie cool. Bleiben Sie die erwachsene Person.
  3. Behalten Sie die Kontrolle. Wut ist ein Gefühl, dass auch Eltern schnell dazu verleiten kann, die Kontrolle abzugeben. Seien Sie gleichzeitig klar darin, was die Attacke bei Ihnen auslöst. Im Fall von Lisa und Jakob aus dem Beispiel könnte das zum Beispiel sein: „Ich bin so wütend und enttäuscht, dass ich Dir eigentlich am liebsten eine klatschen würde“.
  4. Übernehmen Sie die Führung: Ziehen Sie sich zurück oder unterbrechen Sie das Gespräch. „Mit jemandem der mich so beleidigt spreche ich nicht“.
  5. Beleidigungen müssen Konsequenzen haben. Sagen Sie ruhig „ich bin jetzt grad so überfordert dass ich gar nicht klar darin bin, was ich Dir antworten kann – aber Dein Verhalten wird Konsequenzen haben und ich komme darauf zurück“.
  6. Wenn die Situation runtergekühlt ist, versuchen Sie zu verstehen, um was es eigentlich gegangen ist. Lassen Sie hier nicht locker. Zeigen Sie Interesse und lassen sich nicht mit Ausreden abspeisen. Vielleicht müssen Regeln neu diskutiert werden oder Sie haben ebenfalls Fehler gemacht. Machen Sie ihrem Jugendlichen nochmals klar, dass Sie sich das nicht gefallen lassen können und geben Sie dem Jugendlichen die Chance, sich zu entschuldigen oder sein Verhalten wieder gut zu machen. Oft haben Jugendliche nach verbalen Attacken selber Schuldgefühle. Geben Sie die Möglichkeit, die Schuld symbolisch zu begleichen, indem der Jugendliche z.B. den Abwasch machen soll und Sie die Schuld dann als beglichen betrachten würden.
  7. Falls eine körperliche Komponente ins Spiel kommt, z.B. Schlagen oder Stossen, unterbrechen Sie die Situation oder holen Sie sich Hilfe z.B. in Form einer neutralen Person wie z.B. den Nachbarn oder den Partner.

Literaturtipp: Haim Omer (2014) Autorität ohne Gewalt: Coaching für Eltern von Kindern mit Verhaltensproblemen.
. Dieses Buch ist sehr zu empfehlen. Es hilf vielen Eltern, gegenüber ihren Kindern wieder in eine starke Rolle zu gelangen und enthält praktische Tools (z.B. die „Sit-In-Technik“), die man in Streitsituationen anwenden kann.

 



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